Über das Glück und die Liebe
- Monika Andlinger
- 9. Jan. 2012
- 5 Min. Lesezeit

Irgendetwas war anders. Sie konnte sich lange nicht erklären, was es war. Susanne konnte sich an kein einschneidendes Ereignis erinnern, keine Ursache, nichts. Plötzlich konnte sie diese schleichende Veränderung benennen. Sie war bestürzt und erleichtert zugleich. Ganz einfach, sie liebte ihn nicht mehr. Susanne musste lachen. Endlich gab es nichts mehr zu grübeln, es gab keine Beziehung mehr zu kitten. Eine Weile kostete sie diese Erleichterung aus. Dann überlegte sie, was das nun für sie bedeuten würde. Auch das war erschreckend einfach – nichts. Susanne beließ es dabei. Sie fühlte sich befreit und wollte dieses Gefühl nicht durch erneute Grübeleien verderben. So verlief dieser Tag wie jeder andere auch.
Susanne steuerte den Kinderwagen zielstrebig durch die Stadt. In diesem Moment wusste sie genau, wohin sie wollte, ein absoluter Ausnahmezustand in ihrem Leben. Susanne liebte diese kleinen Gassen, die alten Fassaden und das Getümmel dazwischen. Einfach nur so durchzuschlendern und zu genießen sah sie als Zeitverschwendung an, also blieb ihr immer bloß ein rascher Blick in Hast und Eile. Heute hatte sie ihre Kleine geschnappt und ist in die Stadt gefahren um ihre Freundin bei einem Workshop zu besuchen. In Wahrheit wollte sie daran teilnehmen, ihr eigenes Lichtobjekt gestalten. Susanne jonglierte mit einer Hand Wagen samt Kind durch die mit der anderen Hand aufgestemmte Tür. „Hallo! Schön, dass du also doch noch gekommen bist!“ Susanne begrüßte alle, tratschte und fühlte sich für eine Weile aufblühen. Sie sah sich überall ein bisschen um und war sich gar nicht mehr so sicher, dass ihr das Herumgepantsche mit Seidenpapier und Klebermasse gefallen hätte. Susanne kannte jeden hier genug, um sich gut unterhalten zu können. Ihre Freundin stellte ihr einen Mann vor, der sofort ungemein offen auf Susanne zuging. Er umflatterte sie wie ein Schmetterling eine Blume. Sie unterhielt sich, lachte und aß mit ihm das Brot, das er mit ihr teilte. Er verschlang ihre Worte und erzählte ihr von Musik, Ausstellungen und seinem Leben. Dass er sich in sie verliebte, bemerkte sie zuerst nicht. Mit Kind ist ihr so etwas noch nie und ohne schon lange nicht mehr passiert. Zudem hatte sie mittlerweile schon drei Kinder, und zwar von dem Mann, mit dem sie glücklich verheiratet war. Sie band ihm das alles unter die Nase. Ihm war es erstaunlich egal. „Was wirklich? Schade, du bist einfach so lieb! Wirklich verheiratet? Schade.“, war alles, was er dazu zu sagen hatte. Sie freute sich über die ungewohnte Aufmerksamkeit und Zuwendung. Schließlich war es genug und Susanne verabschiedete sich. Er war ganz Gentleman, hielt ihr die Tür auf, begleitete sie noch zum Auto, nicht ohne sie vorher um Erlaubnis zu fragen, versteht sich. Der Abschied verlief nicht so schnell, wie Susanne gehofft hatte. Sie war zu verwirrt, um ihn widerstandslos davon zu überzeugen, dass sie wieder nach Hause musste. Also schenkte sie ihm nach einigem Hin und Her auf sein Betteln hin ein Abschiedsküsschen und schloss mit der Geschichte ab. Dabei hat Susanne eines vergessen. Sie hat ihm ihre Telefonnummer gegeben, als sie noch dachte, sie würden nur ein freundschaftliches Gespräch führen, sich vielleicht irgendwann irgendwo irgendwie treffen. Er rief tatsächlich an, plauderte, erklärte sich mit Freundschaft zufrieden, plauderte, ließ nicht locker. Sie telefonierten also einige Male miteinander, aber Susanne fühlte sich gar nicht wohl dabei. Sie wusste am Handy nicht, was sie ihm zu erzählen hätte. Außerdem hatte sie ständig das Gefühl, etwas vor Martin verbergen zu müssen. Ein Treffen kam nicht in Frage, die Versuchung würde zu groß für sie sein. Sie wollte ihre Ehe nicht in Gefahr bringen, nicht für ein Spiel. Susanne beendete also zu guter Letzt mit klaren Worten, was gar nicht begonnen hatte. Martin hat kein einziges Wort über ihre Telefonate verloren. Sie liebte ihn dafür.
Susannes Aufmerksamkeit lenkte sich wie von selbst auf all das Wunderbare in ihrem Leben, ihre Familie, ihre Kinder, ihren Mann. Die Streitereien ihrer Kinder regten sie immer weniger auf, im Gegenteil, über die meisten konnte sie sogar lachen. Susanne erinnerte sich wieder daran, warum sie sich damals in Martin verliebt hatte. Sie fühlte eine zärtliche Wärme in sich aufsteigen, wenn sie an ihn dachte. Der Ärger über dies und das, was er tat und was er eben nicht tat, all das erschien ihr nun weit weg. Sie wusste, dass er beinahe alles für sie tat und sie aus tiefstem Herzen liebte. Martin würde sie nie verlassen, davon war sie überzeugt. Susanne schien es, als wäre sie frisch verliebt. Ihr wurde nach und nach klar, dass sie alles hatte, was sie für sich zum Glück brauchte.
Sie hatte sich bewusst dafür entschieden, glücklich zu sein. Nur verstand sie die jammernden Menschen in ihrem Umkreis oft nicht mehr. Sie begriff, auch jeder andere ist für sein eigenes Glück verantwortlich war, so wie sie selbst. Susanne sah ein, dass sie niemandem diese Entscheidung abnehmen konnte, dennoch wurde sie ein bisschen ungeduldig, wenn jemand aus ihrer neu gewonnenen Sicht so absolut dem Unglück verhaftet war, sein Glück wortwörtlich nicht fassen konnte. „Komm schon“, sagte sie sich selbst, „Tu nicht so! Du hattest den Blick auf Pech und Nachteil ja vor kurzem auch noch wunderbar drauf!“ Susanne erheiterte sich daran, was sie früher für Verrenkungen vollbracht hat, wo ihr doch jetzt alles so leicht fiel. Ihr gelang es, sich abzugrenzen, nicht mehr allen Müll auf sich zu nehmen, ihr Augenmerk auch weiterhin auf das Glückliche in ihrem Leben zu lenken. Und sie fühlte sich rundum wohl, sie spürte Liebe für sich, ihre Umgebung, besonders für ihre Kinder, für ihren Mann.
„Wie machst du das?“ Marie fixierte Susanne erwartungsvoll. Ihre Freundin wirkte seltsam verändert. Sie hatte beinahe etwas Strahlendes an sich. „Was meinst du?“ Susanne trank einen Schluck Kaffee und wartete. „Na ja“, Marie überlegte, blickte sich um, wandte sich wieder Susanne zu und begann zu erklären: „Dir scheint alles so leicht von der Hand zu gehen. Du strahlst ja richtig. Was ist also los?“ Susanne wusste nicht, was sie antworten sollte. Es stimmte, ihr schien in letzter Zeit immer mehr zu gelingen und natürlich war sie glücklich darüber. Susanne hat bloß nie überlegt, was wirklich der Grund dafür war. Irgendetwas war anders. Sie konnte sich lange nicht erklären, was es war. Susanne konnte sich an kein einschneidendes Ereignis erinnern, keine Ursache, nichts. Plötzlich konnte sie diese schleichende Veränderung benennen. Sie war überwältigt und erleichtert zugleich. Ganz einfach, sie liebte ihn und war glücklich. Susanne musste lachen. Endlich gab es nichts mehr zu grübeln, es gab keine Probleme mehr zu lösen. Eine Weile kostete sie diese Erleichterung aus. Dann überlegte sie, was das nun für sie bedeuten würde. Auch das war betörend einfach – nichts. Susanne beließ es dabei. Sie fühlte sich befreit und wollte dieses wunderbare Gefühl nicht durch erneute Grübeleien verderben. So verlief dieser Tag wie jeder der folgenden auch.
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